TEXTPROBE 2

QUELLEN DER NÄHE

@ | Mario Romano | veröffentlicht 2005 : Lifestyle-Singlemagazin SUPERSOLO

Ab wann beginnt zwischen einer Frau und einem Mann eine Nähe, der man nicht mehr widerstehen kann? Wann beginnt dieses Energiefeld zu wachsen, das ein Verlangen auslöst und man weiss, wenn ich jetzt gehe, dann beginnt es zu schmerzen. Und was sollte man mit einbringen, damit diese Energie den anderen nicht verbrennt und er davonrennt? Weiss das eigentlich jemand genau, wie man damit umgeht?

Vielleicht glauben nun viele, dass ich über Sex schreiben werde. Nein, ich meine nicht Sex. Ich meine den Moment, wo man leise spürt, dass aus der Tiefe des eigenen Wesens langsam etwas hochsteigt, der Puls schneller zu pochen beginnt und man langsam nervös wird. Die Gedanken kommen nicht mehr so kontrolliert in gesprochener Form über die Lippen. Und eine innere Sprache fordert einen heraus: Wie soll ich nun vorgehen?

Wenn man sich plötzlich in diesem Moment befindet, dann spürt man, dass man dem anderen näher rücken will. Nicht im wörtlichen Sinne, sondern durchs Mentale, man nennt es auch das Feinstoffliche. Es baut sich ein Energiefeld auf, das beide blitzartig umhüllt. Man kennt ja den Ausdruck: «Schau mal die beiden, die sehen aus, als nähmen sie nichts mehr von ihrer Umwelt wahr.» Wenn im Gegenüber derselbe Zustand hochsteigt, dann verdichtet sich die Energie der beiden, als würden sie sich in einer embryonalen Blase befinden. Eine Blase, in der zwei Welten sich vereinen und in welcher ein Verschmelzen von enorm viel Unbewusstem stattfindet, als würden zwei Planeten ineinander stürzen.

Wie aus dem Nichts entsteht eine Nähe, die ins Unermessliche steigen kann, sodass Menschen, wenn sie sich darin befinden und einer dieses Energiefeld verlässt, der Verlassene wie in den Wahnsinn geraten kann, wie wenn man Zwillinge auseinander reissen würde. Für rational denkende Menschen ist das vielleicht romantischer Unsinn. Aber was ist, wenn es wirklich so stattfindet und die Energie des einen spürbar bis in jede Faser des Körpers des anderen fliesst?

Warum können Liebende, die während ein paar Tagen getrennt sind, fühlen, wenn er oder sie anrufen will oder wenn es dem anderen schlecht geht? Es kommt ja oft vor, dass einer von beiden anrufen möchte und im gleichen Moment der andere den Hörer abnimmt und dann die Leitung besetzt ist.

Beginnt Nähe vielleicht schon, bevor man sich kennt? Gibt es dieses Überirdische, bei dem sich jemand vorstellt, wie sein zukünftiger Partner sein sollte? Wenn man sich durch nichts ablenken lässt und nicht im Geringsten daran zweifelt, dass es diesen sich geistig vorgestellten Menschen gibt, und dieser dann plötzlich auftaucht? Ist das der Grund, warum es sehr viele Menschen gibt, die sagen, wenn es an der Zeit ist, dann kommt er. Wissen sie tief im Unterbewussten, dass er schon existiert?

Es scheint, dass es im Leben und in der Begegnung der Menschen noch viele Geheimnisse gibt, die noch nicht ergründet worden sind, und man ahnt kaum, welche Kraft darin enthalten sein könnte. Das heisst, man müsste seine Denkweise auf einen anderen Kanal stellen, damit man, sofern man mit dem Übersinnlichen keine Berührungsängste hat, auch darin Erfahrungen bekommen kann. Viele Menschen bezeichnen sich heute als sehr sensibel. Liegt es vielleicht daran, dass viele Schwierigkeiten haben, zueinander zu finden, weil ihr Empfindsamkeit sehr ausgeprägt ist und man instinktiv spürt: Oh nein, mein Gegenüber ist nicht mein Typ.

Bleiben wir aber beim ersten Rendez-vous, denn in diesem Moment können vielleicht die Weichen gestellt werden, dass Nähe sich in Liebe verwandelt. Es ist ein höchst anspruchsvoller Moment, weil einerseits die biologische Seite eines Menschen sich aufbäumen kann und andererseits die menschliche Seite genauso in ihrem Wesen erkannt werden will. Das Biologische will sich vielleicht unweigerlich aufeinander stürzen, doch das Menschliche appelliert, weil man ja weiss, was im anderen vorgeht. Da gibt es keinerlei Zwang oder Drang, man ist sich des gemeinsamen Seins vollkommen bewusst. Man verbringt Stunden miteinander, lacht und tanzt. In Stille kann man zusammen sein, vielleicht ohne grosse Unsicherheit den anderen in den Arm nehmen und ihn einfach fühlen lassen: Du bist o.k. Man muss einander nichts beweisen, führt keine Machtkämpfe und trennt nicht im intellektuellen Sinne Mann und Frau in zwei Welten. Der Ausdruck Mann vom Mars und die Frau von der Venus verliert an Substanz. Wenn man sich so herumhört in der Gesellschaft und wenn man diese vielen Bücher über das Übersinnliche zählt, dann gibt es den Anschein, dass Mann und Frau ganz langsam mit kleinen Schritten einer neuen Epoche entgegengehen, wo die Begegnung der Geschlechter bewusster und feinfühliger erfasst wird. Man kann sagen, man fasst nicht gleich mit den Händen, sondern mit dem inneren Wissen und Fühlen nach dem Gegenüber.

Was sollte man an einem Rendez-vous von sich mit einbringen, wenn man will, dass der andere nicht gleich davonrennt? Als Basis eine kräftige Portion Selbsterkenntnis. Denn es kann auch durchaus sein, dass einer der beiden sehr starke Energie besitzt und diese einen so mächtig anzieht und fasziniert, dass man diesem im wahrsten Sinne des Wortes nachrennen möchte. Oder man fühlt sich danach müde und erschöpft, weil man von seiner Energie auch aufgesogen werden kann. Man hört oft Menschen sagen: «Ich fühlte mich hinterher wie ausgelaugt!» Selbsterkenntnisse, wie man ist und wie man fühlt, können die Sinne schärfen, und man kann seine Grenzen besser positionieren. Es ist auch kein Wunder, dass Menschen, die in sich ruhen, eine starke Sinnlichkeit ausstrahlen, weil sie in diesem Moment gleichzeitig offen sind und doch wissen, dass sie ab einem gewissen Punkt Grenzen setzen müssen. Das nennt man dann Selbstbewusstsein.

Um also herauszufinden, ob es dieses Energetische in einem gibt, oder wenn man glaubt, schon zu spüren, dass es vorhanden ist, dann könnte man damit umzugehen lernen, indem man einfach hinausgeht und viele Verabredungen macht. Und wenn man keine Erwartungen hat, verletzt man weder sich selbst noch den anderen. Man sollte dem anderen einfach vorneweg mitteilen: «Ich will einfach mit dir einen Kaffee trinken, um zu sehen, wer mir gegenübersitzt.» Sehen mit allen Sinnen. Und wenn zwei einander gegenübersitzen, die ihre eigene Energie fühlen, dann lachen bestimmt beide einander zu über das Mentale. Wie man dann in diesem Moment weitergeht, darüber wird es niemals etwas Geschriebenes geben, denn diese Nähe ist immer einmalig.

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