HOLMES & WATSON

@ | Mario Romano | veröffentlicht 2011 : scriptura : Jahrespublikation über Schreibkultur, Schreibgeräte und Accessoires

Die Biographen

„Holmes, nichts weist darauf hin, wer dieses Verbrechen begangen haben könnte.“Watson stand neben einer Leiche inmitten eines riesigen, leeren, nach Fäulnis riechenden Lagerhauses. Der Gestank von Kohle und Fisch vermischte sich hier zu einem dicken Geruch, der langsam wie eine Made in die Nase kroch.
„Holmes, diese Leiche hat in keiner Weise etwas mit uns zu tun. Können wir also gehen. Es war unnütz mich hierher zu schleppen. Ich kann nichts erkennen. Dieser fette Fleischberg ist wohl an seinem eigenen inneren Fett gestorben, so dick wie er ist.“
„Watson, ich kann Ihren feinen Ärger verstehen.“
Holmes schritt langsam, fast behutsam über den feinen matschigen Dreck am Boden.
„Der Meister will sich wohl die Schuhe nicht dreckig machen“, lästerte Watson beleidigt.
„Mein lieber Freund Watson, ich muss Sie leider korrigieren. Ich schreite nicht vorsichtig. Nein, ich ertappe mit meinen Schritten des Rätsels Lösung. Denn es war Moriarty, der diesen Fettwans ermordete.“
„Holmes, der Gestank muss Sie wohl auch betäubt haben. Moriarty würde doch niemals diesen einfachen, fetten Mann selbst umbringen wollen. Wie in alles in der Welt kommen Sie zu dieser Annahme.“
Holmes drehte sich abrupt in seiner ganzen Eleganz Watson zu. In seinem Gesicht spiegelte sich eine kleine Zornfalte, die nur Watson erkennen konnte und die ihm deutete, dass es nun vielleicht besser sei, den Mund zu halten.
„Watson, diese Halle gehörte James Moriarty. Und dieser Mord hängt mit den uns bekannten ((DIE)) BIOGRAPHEN zusammen.“
„Ah, diese Irren, die einander die Regeln und Rituale und alle ihre Greueltaten wie Kinder mit einer Stahlfeder ins Fleisch ritzen, was jede Tätowierung individuell aussehen lässt.“
„Genau, mein lieber Freund Watson, DIE BIOGRAPHEN. Ein Geheimbund aus dummen, fetten, aber höchst brutalen Mördern, und alle unterstützt von Professor James Moriarty.“
„Also, dass der Kopf dieses Monster Moriarty sein sollte, ist nicht bewiesen. Bis jetzt jedenfalls nicht“, räumte Watson in einer immer noch distanzierten Haltung ein.
„Watson, dieser Tote steht im Zusammenhang mit allen Fällen aus Edinburgh. Schauen Sie genau auf die Tätowierung am Hals. Dort beginnen die Wahnsinnigen, sich ihre Geschichten mit Tinte einzuritzen. Und nun schauen Sie noch genauer hin. 1856 erstellte ein gewisser Leonhardt eine erste stabile Tinte, die sich für Füllfederhalter eignete. Das sind Anteile von Aleppo-Galle, holländischer Krapp, Teile von Indigosulfonsäure-Lösung, weitere Teile von Eisensulfat und holzessigsaure Eisenlösung und viele Teile Wasser. Moriarty muss es gelungen sein, noch einen unbekannten Stoff beizumischen, damit es diesen fast nicht entdeckbaren Effekt auslöst.“
„Holmes, diese Kerle haben Monate mit ihren perversen Kritzeleien in ihrer Haut gelebt. Besitzt diese moriartysche Tinte eine Art Zeitzünder?“
„Watson, heute scheint nicht Ihr Tag zu sein. Der Zeitzünder ist Moriarty selbst. Schauen Sie die Tauben dort und beachten Sie, was hier in diesem Lager einmal gelagert wurde. Vermutlich diverse Materialien und unter anderem auch die Stoffe zum Herstellen von Tinte. Denn die Ratten der Lüfte fressen alles, und die liegen auch tot herum. Mir kam zu Ohren, dass eine neue Tintenrezeptur am Entstehen ist. Darin soll sich Tannin und Phenol befinden. Ich kenne diese Stoffe nicht, Watson.“
„Oh Gott, Holmes, ich habe Tinte am Finger vom Brief an meinen Steuerberater. Werde ich nun auch gleich sterben?“
„Watson, seien Sie nicht albern. Moriarty benutzt bestimmt ein gewisses Parfum.
Sie wissen ja auch von seinem Fetisch des feinen Duftes, mit welchem er seine diabolische Aura verhüllt. Dieses Parfum löst in der Tinte bei diesen Kerlen eine Reaktion aus. Scotland Yard muss schnellsten jegliche Tinte, die seit ein paar Monaten neu auf dem Markt ist, beschlagnahmen. Moriarty kann in seiner mörderischen Laune jeden umbringen, der seine Tinte benutzt.“
„Holmes, wissen Sie, was Sie da sagen. Da sind unzählige Menschen in Gefahr.“
„Watson, das Geniale dabei ist, dass keiner dieser Kerle Moriarty an die Kehle kann, vorher vergiftet sich dieser selbst. Und das zeigt auch, dass es zwischen diesen Mördern und Moriarty einen Mittelsmann gibt. Und wissen Sie was, Watson, in seiner Genialität hat dieser Teufel einen grossen Fehler begangen. Die Biographen((DIE BIOGRAPHEN)) haben mir nämlich eben den Mittelsmann genannt und noch mehr. Watson, ab in die Leichenhalle, wir müssen alle Biographen nochmals innen und aussen obduzieren. Es sind die Tätowierungen. Diese Dummköpfe haben aber auch alles auf ihre faule Haut gekritzelt.“
„Und das nennen Sie genial? Und Holmes, wissen Sie, wie spät es ist?“